Was ist der Inhalt des "Bauturbos" der Bundesregierung?

Ulf Matzen
In Deutschland herrscht Wohnungsmangel. Das erklärte Ziel der Ampel-Koalition waren einmal 400.000 neue Wohnungen im Jahr. 2024 wurden 216.000 neue Wohnungen gebaut, das waren 14 % weniger als im Jahr zuvor. Zu den Hauptursachen zählen die hohen Baupreise, welche in den letzten Jahren durch gestiegene Energiepreise und Materialkosten erheblich angezogen haben. Die neue Bundesregierung möchte dies durch den sogenannten Bauturbo ändern, nachdem die vorherige Regierung ein ähnliches Projekt nicht abgeschlossen hatte. Welche gesetzlichen Änderungen sind vorgesehen?

Was ist der Bauturbo?

Der Bauturbo ist Teil eines im Juni 2025 von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzesentwurfs. Im engeren Sinne ist damit die Neufassung von § 246e des Baugesetzbuches gemeint, welche unter bestimmten Voraussetzungen Abweichungen vom Baurecht erlaubt. Die Neuregelung ist Teil eines ganzen Maßnahmenpakets. Dessen Ziel ist es, das Bauen von Wohnraum zu beschleunigen und zu vereinfachen. Derzeit (Mitte September 2025) läuft das Gesetzgebungsverfahren. Die Neuregelungen könnten noch 2025 in Kraft treten.

Inwieweit werden Abweichungen vom Bebauungsplan erlaubt?

Schon nach dem bisherigen § 31 Abs. 3 des Baugesetzbuches (BauGB) kann zugunsten des Wohnungsbaus vom Bebauungsplan der Gemeinde abgewichen werden. Dies gilt jedoch nur in zeitlich befristet festgelegten Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt. Nun soll eine solche Abweichung überall, unbefristet und nicht nur im Einzelfall, sondern auch in mehreren vergleichbaren Fällen möglich werden. Dazu wird § 31 BauGB geändert.

Eine Abweichung vom Bebauungsplan soll die ausdrückliche Zustimmung der Gemeinde erfordern. Das Vorhaben muss auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. Das ist nicht der Fall, wenn es nach überschlägiger Prüfung erhebliche zusätzliche Umweltauswirkungen haben kann.
So sollen zum Beispiel Aufstockungen oder Umbauten von Wohngebäuden oder Bebauungen in zweiter Reihe erleichtert werden. Diese könnten in ganzen Straßenzügen ermöglicht werden, ohne erst den kompletten Bebauungsplan zu ändern. Die Zustimmung der Gemeinde wird in einem neuen § 36a BauGB geregelt.

Was soll im unbeplanten Innenbereich gelten?

Bisher gilt auch ohne Bebauungsplan im Innenbereich einer Gemeinde, dass sich Bauvorhaben in die Bebauung der näheren Umgebung einfügen müssen. Abweichungen sind im Einzelfall unter anderem bei der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines Wohngebäudes möglich. Künftig sollen diese Abweichungen generell im Einzelfall oder in mehreren vergleichbaren Fällen erlaubt sein. Dazu wird § 34 BauGB ein neuer Absatz 3b hinzugefügt.

Voraussetzungen:
  • Das Vorhaben dient der Errichtung eines Wohngebäudes,
  • es ist städtebaulich vertretbar und
  • unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar.

Dies soll mehr Hinterlandbebauungen ("Bebauung in zweiter Reihe") und mehr Bebauungen von Freiflächen innerhalb von Wohnblocks ermöglichen. Abweichungen sollen sowohl beim Maß als auch bei der Art der baulichen Nutzung möglich sein. Auch hier ist die Zustimmung der Gemeinde nötig.

Welche Neuerungen bringt der "Bauturbo" nach § 246e BauGB?

§ 246e BauGB soll befristet bis 2030 gelten. Die Vorschrift ermöglicht eine Abweichung von allen Vorschriften des Baugesetzbuches und auf ihrer Grundlage erlassenen Verordnungen im jeweils erforderlichen Umfang. Die Abweichung muss unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. Dies ist nicht der Fall, wenn sie erhebliche zusätzliche Umweltauswirkungen hat. Sie muss einem der folgenden Vorhaben dienen:
  • der Errichtung von Wohngebäuden,
  • der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung zulässigerweise errichteter Gebäude, wenn dadurch neue Wohnungen geschaffen oder vorhandener Wohnraum wieder nutzbar wird, oder
  • der Nutzungsänderung von zulässigerweise errichteten Nichtwohngebäuden zu Wohngebäuden, inklusive Änderungen oder Erneuerungen.

Anders als in früheren Gesetzesentwürfen soll die Regelung nicht mehr nur in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt gelten, sondern überall.

Der Bauturbo ermöglicht keine Abweichung von den Landesbauordnungen der Bundesländer, da diese nicht zum Regelwerk des Baugesetzbuches gehören. Brandschutzvorschriften oder Regelungen zu Abstandsflächen bleiben daher unangetastet. Auch Regelungen aus den Immissionsschutzgesetzen sind nicht betroffen.

Möglich ist eine Abweichung von den Vorschriften der auf dem BauGB beruhenden Baunutzungsverordnung, also hinsichtlich Art und Maß der baulichen Nutzung. So kann beispielsweise in einem im Bebauungsplan festgelegten Kern- oder Gewerbegebiet Wohnungsbau zugelassen werden, ohne den Bebauungsplan zu ändern. Mit dem Maß der baulichen Nutzung sind zum Beispiel Abweichungen hinsichtlich der Grundflächenzahl, der Geschossflächenzahl oder der Höhe der Gebäude gemeint.    

Bei Entscheidungen über Abweichungen nach § 246e BauGB soll die Regelung zur Zustimmung der Gemeinde nach dem neuen § 36a BauGB entsprechend angewandt werden. Der zweite Absatz dieser Regelung ermöglicht eine Öffentlichkeitsbeteiligung. Die Gesetzesbegründung empfiehlt dieses Vorgehen bei der Anwendung von § 246e. 

Abweichungen vom BauGB sollen auch im Außenbereich möglich sein. Dies soll sich jedoch auf Bauvorhaben beschränken, die im räumlichen Zusammenhang mit Flächen stehen, die sich im Bebauungsplanbereich oder im Bereich zusammenhängend bebauter Ortsteile befinden. Laut Gesetzesbegründung müssen diese Bauten nicht unmittelbar an die vorhandene Bebauung anschließen, aber noch als deren organische Fortentwicklung erscheinen und die gleiche Infrastruktur nutzen. Dies betrifft zum Beispiel sogenannte Außenbereichsfinger, die in einen Innenbereich hineinragen, oder den sogenannten Außenbereich im Innenbereich. Ab 100 Metern Abstand wird ein räumlicher Zusammenhang ausscheiden.

Welche Regelungen zu Lärm und Immissionen enthält der Entwurf?

Eine Neuregelung zum Immissionsschutz enthält § 9 Abs. 1 Nr. 23a BauGB. Diese gibt Gemeinden die Möglichkeit, Gebiete festzusetzen, in denen bestimmte Lärmschutzwerte oder Geräuschemissionskontingente nicht überschritten werden dürfen. Von der TA Lärm darf dabei in begründeten Fällen abgewichen werden. Die Gemeinden erhalten hier mehr Gestaltungsspielraum. 

Neu eingeführt wird auch § 216a BauGB, der das Vorgehen bei Unwirksamkeit eines Bebauungsplans wegen von der TA-Lärm abweichender Lärmschutzfestsetzungen der Gemeinde regelt. Hier müssen die Bauaufsichts- und Immissionsschutzbehörde einvernehmlich über lärmmindernde Maßnahmen entscheiden.

Wie wird die Zustimmung der Gemeinde geregelt?

§ 36a BauGB regelt künftig die Zustimmung der Gemeinde zu den oben erläuterten Abweichungen von baurechtlichen Regelungen. Diese ist für Vorhaben nach § 31 Absatz 3 (Befreiung vom Bebauungsplan) und § 34 Absatz 3b BauGB (Verzicht auf Einfügen in die Umgebungsbebauung in unbeplantem Gebiet) erforderlich, auch wenn die Gemeinde selbst die zuständige Bauaufsichtsbehörde ist. Auf den Bauturbo des § 246e und damit auf Abweichungen vom Baugesetzbuch ist die Regelung entsprechend anwendbar. 

Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn das Vorhaben mit den Vorstellungen der Gemeinde von der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung vereinbar ist. Eine Zustimmung unter Bedingungen ist möglich. § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB soll entsprechend gelten. Das heißt: Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn die Gemeinde sie nicht binnen zwei Monaten verweigert. Die Gemeinde kann der betroffenen Öffentlichkeit vor der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme geben.

Verlängerung bestehender Regelungen

Geplant ist auch, die Möglichkeit der Ausweisung von Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt nach § 201a BauGB um weitere fünf Jahre zu verlängern. Bisher wäre damit Ende 2026 Schluss gewesen. Auch die Genehmigungserfordernis für die Begründung oder Teilung von Wohneigentum in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten nach § 250 BauGB soll um fünf Jahre verlängert werden.



letzte Änderung U.M. am 26.09.2025
Autor(en):  Ulf Matzen
Bild:  Bildagentur PantherMedia / pressmaster


Autor:in
Herr Ulf Matzen
Ulf Matzen ist Volljurist und schreibt freiberuflich Beiträge für Online-Portale und Unternehmen. Ein wichtiges Thema ist dabei das Immobilienrecht, aber auch das Verbraucherrecht ist häufig vertreten. Ulf Matzen ist Mitautor des Lexikons "Immobilien-Fachwissen von A-Z" (Grabener-Verlag) sowie von Kundenzeitungen und Ratgebern.
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